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- Jul 2018
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Wir müssen also darüber reden, dass viele Menschen "Etabliertenvorrechte" fordern - so heißt das in der Wissenschaft. Klingt harmlos, ist es aber nicht: Die Idee, wer zuerst hier war, darf mehr, verstößt gegen die Werte unserer Verfassung. Und sie ist, man kann es nicht anders sagen, völkischen Ursprungs. Denn oft ist mit "schon immer hier" nicht nur das eigene Leben gemeint. "Für viele Deutsche ist es anscheinend enorm wichtig für die eigene Identität, dass ihre ganzen Vorfahren zufällig im Bundesgebiet gepoppt haben", schreibt die Künstlerin und Aktivistin Noah Sow zur Özil-Debatte in ihrem Blog.
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Vielleicht muss man Özil für sein Foto fast dankbar sein. Er hat ja, das ist im Getöse um seinen Rückblick fast untergegangen, auch erklärt, warum er es gemacht hat. Aus Respekt dem Amt des Präsidenten gegenüber, des Präsidenten aus dem Land seiner Eltern und Großeltern. Das mag man nun nachvollziehen können oder nicht. Aber die Diskussion um Özil, Erdoğan und das Foto hat so oder so deutsche Befindlichkeiten offengelegt. Es hat gezeigt, wie weit große Teile dieses Land sind, was den Umgang mit Menschen angeht, die nicht Thomas Müller heißen oder wie Toni Kroos aussehen. Und nicht nur beim Blick auf die deutsche Nationalmannschaft muss man in diesen Zeiten zu der traurigen Erkenntnis kommen: Wir waren schon mal weiter. Oder glaubten, es zu sein.
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Als sich berechtigte Kritik, und vielleicht sogar berechtigte Pfiffe an Özil mit nicht mal mehr unverhohlenem Rassismus vermengten, war vom DFB nichts zu hören. Jener Verband, der noch vor Jahren als Vorzeigesymbol der Integration galt, der so tat, als hätte seine Nationalmannschaft das neue Deutschland erfunden. Anstatt auch die Ambivalenzen und Probleme, die Integration mit sich bringen kann, offen zu thematisieren, blieb er stumm, als alle auf Özil herumhackten.
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Mit Özil tritt ein Stück weit auch der Glaube an eine progressive Gesellschaft zurück. Sein Rückzug ist ein fatales Symbol, in einer Zeit und in einem Land, in dem rechte Parteien immer lauter schreien und auf Marktplätzen gebrüllt wird, dass Flüchtlinge absaufen sollten.
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"Macht meine türkische Abstammung mich zu einem wertvolleren Ziel?", fragt Özil. Für ihn und viele der 2,8 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln ist die Antwort ein klares Ja, und es bleibt einem nach diesen Tagen keine Alternative, als ihnen zuzustimmen. Dass Özil in seiner Abrechnung auch die Medien kritisiert, spricht vielen Deutschtürken aus der Seele. Wie oft wurde während des "Verrats von Özil" darüber berichtet, dass er mehr Hilfsprojekte unterstützt als die meisten seiner Kritiker? Wie oft wurde berichtet, dass Özil nie durch Eskapaden der Art aufgefallen ist, die die Öffentlichkeit gerade jungen Fußballern gern vorhält? Einmal, zweimal, keinmal? Stattdessen gibt es das Bild vom Spielmacher, wie er auf dem Rasen die Hände und Arme hebt, um kurz zu beten. Es gibt die Szenen, in denen er als Nationalspieler die Nationalhymne nicht mitsingt. Und es gibt die Bild-Zeitung, die offenbar große Teile dieses Landes hinter sich weiß, wenn sie sich jetzt zu titeln traut: Der Jammer-Rücktritt.
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Deshalb wird Özils Abrechnung auch in jenem Teil der deutschtürkischen Community auf viel Verständnis stoßen, die überhaupt nichts mit Erdoğan zu tun haben will. Denn die Wut auf den türkischen Präsidenten zieht auch den Mob an – Leute, die pauschal schon immer was gegen Türken hatten und nur nach einem Kanal gesucht haben, um das loszuwerden. Damit sind nicht nur die Menschen gemeint, die Özil als "Ziegenficker" oder "Türkensau" beschimpften. Sondern vor allem jene, die über Wochen laut über den "Verrat von Özil" gepoltert haben, während ihre deutschtürkischen Kollegen bei der Arbeit, beim Essen in der Kantine oder in der Freizeit ruhig zuhören mussten. Während ihnen wieder einmal das Gefühl aufgedrückt wurde: Sie sind fremd im eigenen Land.
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Die Deutschtürken haben nun viele Fragen: Hätte Özil das Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten absagen sollen, ihm klarmachen, dass die Deutschen seine autokratische Politik nicht gutheißen? Bundeskanzlerinnen und westliche Präsidenten lassen sich ebenfalls mit ihm ablichten, selbst Journalisten und Politiker wissen bis heute nicht, wie man mit Erdoğan richtig umgehen soll. Aber ein schüchterner Fußballstar soll das können?
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Die Fifa ist ein krimineller Sumpf. Ihre Funktionäre schummeln, tricksen, schmieren. Dass Weltmeisterschaften in komplett undemokratischen Ländern wie Russland und bald Katar stattfinden, ist längst akzeptiert. Ein lachender Putin steht neben dem deutschen Ehrenspielführer Lothar Matthäus, das stört aber keinen. In Bayern regiert ein verurteilter Steuerhinterzieher den wichtigsten Fußballverein des Landes. Aber das ist nun natürlich alles egal. Weil der Haustürke vermeintlich einen Fehler gemacht hat. Und weil er sich nun auch noch erdreistet, sich von seinem Land, von Deutschland, nicht alles gefallen zu lassen.
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Und was, wenn am Ende Untersuchungen zeigen, dass sich gerade die vermeintlich besonders gut Integrierten nicht richtig zugehörig fühlen? Kann man es dann überhaupt richtig machen oder ist das der Witz an Integration in Deutschland, dass immer ein Stück Fremdsein übrig bleibt, damit der Deutsche mit deutschem Hintergrund weiß, wo er draufhauen muss, wenn es darauf ankommt?
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